Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Ortsgruppe Remscheid

Interview: Nie mehr im Regen stehen

Die Mobilitätsforscherin Kathrin Karola Viergutz widmet sich der Frage, wie die Mobilität in Städten und auch auf dem Land mithilfe der Digitalisierung verbessert werden kann – für die Menschen und für die Umwelt.

Mobilitätsforscherin Kathrin Karola Viergutz, Institut für Verkehrssystemtechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Mobilitätsforscherin Kathrin Karola Viergutz, Institut für Verkehrssystemtechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) © Kathrin Karola Viergutz

Die Mobilitätsforscherin Kathrin Karola Viergutz forscht am Institut für Verkehrssystemtechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Ihr Steckenpferd: die Smart-City. Gemeinsam mit Kommunen entwickelt sie Konzepte, um Stadt und Land lebenswerter, technologisch fortschrittlicher, ökologischer und sozial inklusiver zu machen. Der ADFC hat mit ihr darüber gesprochen, wie die Digitalisierung auch Radfahrenden zugutekommen kann.

Frau Viergutz, Sie forschen zur Smart City, der Begriff ist ja recht schwammig, was genau verstehen Sie darunter?
Für mich ist Smart City eine lernende und lenkende Stadt. Ziel ist, mithilfe von digitalen Maßnahmen und Werkzeugen die Stadt menschengerechter zu machen. Neben Bildung, Gesundheit und weiteren Handlungsfeldern gehört auch die Mobilität dazu. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, durch digitale Maßnahmen die Mobilität der Menschen zu verbessern. Und dabei geht es nicht nur – wie viele denken – um die Nutzung von Apps. Es geht vor allem auch um eine neue Art der Verkehrsplanung und Verkehrssteuerung.

Wie sieht diese neue Art der Verkehrsplanung konkret aus und profitieren auch Radfahrende von ihr?
Zentral für eine zukunftsfähige Verkehrsplanung sind: Daten. Am DLR nutzen wir unterschiedliche Mobilitätsdaten für unsere Forschung und machen sie nutzbar, um mehr über das Verhalten von Menschen zu erfahren. Diese möglichst digital erhobenen Daten sind die Basis unserer Arbeit. Liegen einer Kommune Daten darüber vor, wo und wann sich Radfahrende durch die Stadt bewegen, kann sie beispielsweise die jeweiligen Ampelschaltungen fahrradgerechter schalten. Und das dann auch noch abhängig vom Wetter. Regnet es, können die Radfahrenden bevorzugt werden und sie müssen nicht mehr bei Rot im Regen stehen. Auch können Gefahrenstellen und Engpässe für Radfahrende durch die Datenerhebung viel leichter identifiziert werden. Die Digitalisierung könnte Radfahren also sicherer machen.

Digitalisierung kann Radfahren sicherer machen

 

Moblitätsforscherin Kathrin Viergutz braucht Daten für ihre Forschung.
Moblitätsforscherin Kathrin Viergutz braucht Daten für ihre Forschung. © Kathrin Karola Viergutz

Wie schwer ist es in Deutschland, an Mobilitätsdaten zu kommen?
Die Datenlage ist für die Wissenschaft eine relativ große Herausforderung. Wir machen zum Beispiel oft Computersimulationen, um eine bestimmte Mobilitätsmaßnahme auszuprobieren, bevor sie in die Realität gebracht wird. Dafür brauchen wir sehr viele, sehr gute Daten, und die haben wir häufig nicht. Einerseits aus Datenschutzgründen, andererseits, weil die Daten zum Beispiel bei der Stadt liegen oder bei einem Ingenieurbüro. Deswegen müssen wir häufig mit Annahmen arbeiten, die nicht so genau sind wie echte Mobilitätsdaten. Häufig lassen wir deshalb freiwillig Mobilitäts-Tagebücher ausfüllen oder fahren selbst los und sammeln Daten über Strichlisten. Die gute Nachricht ist: Der Trend geht immer mehr dahin, dass Daten aus unterschiedlichen Bereichen öffentlich verfügbar gemacht werden, so auch im Bereich Mobilität.

Sie begleiten Kommunen auf dem Weg zur Smart City – wie ist bei ihnen der Stand in Sachen Radverkehr?
In Frankfurt am Main werden gerade intelligente Fahrradparkplätze getestet. Sie sind mit Sensoren ausgestattet und man kann sich online anzeigen lassen, wo noch Parkplätze frei sind. Dresden sammelt derzeit Daten zum Fahrradverkehr über ein digitales Verkehrsmanagementsystem. Das Ziel dort ist, den Radverkehr effizienter zu steuern. Die Ergebnisse stehen aber noch aus. In München untersuchen wir gerade mithilfe von Wärmebildkameras das Verhalten von Radfahrenden an Ampeln. Die Ampeln sollen erkennen, dass ein Radfahrer oder eine Radfahrerin an der Ampel steht, und dann schnell auf Grün schalten. Dazu haben wir verschiedene Kreuzungen mit Sensoren ausgestattet, um diese anhand der gesammelten Daten sicherer machen zu können, zum Beispiel durch eine bessere Beleuchtung.

Gibt es besondere Herausforderungen bei der Zusammenarbeit mit Kommunen?
Die Zusammenarbeit ist absolut positiv. Die Kommunen sind sehr bemüht, uns mit Informationen und Daten zu versorgen und gehen in engen Austausch mit uns. Sie sehen den Mehrwert, den sie durch die Wissenschaft und durch eine Verbesserung des Radverkehrs bekommen. In ganz vielen Städten in Deutschland entstehen gerade Mobilitätsentwicklungspläne. Aus ihnen wird ersichtlich, dass die Kommunen das Auto nicht mehr das einzige Verkehrsmittel ansehen. Das ist ein großer Fortschritt.

Das Auto ist nicht das einzige Verkehrsmittel

 

Mobilitätsforscherin Kathrin Karola Viergutz
Mobilitätsforscherin Kathrin Karola Viergutz © Kathrin Karola Viergutz

Wir reden viel über Städte – können denn Radfahrende auf dem Land auch von der Digitalisierung profitieren?
Der Unterschied zwischen der Stadt und dem ländlichen Raum ist gar nicht so groß. In großen wie in kleinen Gemeinden sind Nutzungsdaten und Verkehrsdaten wichtig, um zu identifizieren, wo neue Radwege oder auch neue Fahrradabstellplätze benötigt werden. Besonders hilfreich im ländlichen Raum kann es sein, über die Analyse der Verkehrsflüsse herauszufinden, wo eine Ladeinfrastruktur für E-Fahrräder fehlt. Ist diese gebaut, können Radfahrende dann via App ganz einfach angezeigt bekommen, wo sie ihr Fahrrad auf einer mehrtägigen Radtour laden können.

Sie nehmen äußerst erfolgreich an Science Slams teil. Das sind Turniere, bei denen Wissenschaftler:innen ihre Forschungsthemen populärwissenschaftlich öffentlich präsentieren. Warum ist Ihnen dieses Engagement so wichtig?
Ich möchte Wissenschaft transparenter machen und zeigen, was wir machen und warum wir das machen. Ich will Wissenschaft nicht für die Schublade produzieren. Ich habe Mobilität studiert, weil ich das Leben der Menschen verbessern wollte und nicht, weil ich irgendwelche Tabellen erstellen wollte. Wissenschaft sollte nicht so kompliziert sein, dass man studiert haben muss, um sie zu verstehen. Mit Kommunikationsformaten wie dem Science Slam gelingt es gut, die Begeisterung der Menschen für Wissenschaft und in meinem Fall für die Mobilitätswende zu wecken.
Interview: Almut Gaude


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